«Kultur» ist zum Trennfaktor geworden. Was im 19. Jahrhundert als menschheitsverbindende Leitidee entworfen wurde, dient heute fast nur noch dazu, die «anderen» von «uns» zu separieren. Dabei unterscheiden sich die Wertungen, das Grundmuster ist aber gleich: Menschen werden sortiert nach Zugehörigkeit zu Kulturen. Diesen Kulturen wird unterstellt, sie prägten entscheidend die individuelle Existenz; sie definieren, so meint man, «Identität».
(Raji Steineck , NZZ)
Diese hier vorgestellte Konstruktion von vier verschiedenen Ideentypen ist etwas ungewöhnlich aber nicht wirklich originell. Ideen sind wie ungeschliffenes Rohmaterial; sie unterscheiden sich erst genauer, indem ihre Anwender versuchen, das Ungefähre, Leichte und Spontane, das Ideen ja immer auch anhaftet, gewissermaßen scharf zu stellen. Ideen entstehen entstehen besonders dann, wenn man nicht nur auf Unterscheidungen achtet, sondern auch auf Ähnlichkeiten, die jeweils hergestellt werden können. Wer eine Idee äußert, der ist fähig mit einer oder mehreren Unterscheidungen (hier: vier Ideentypen) so zu arbeiten, dass sie sich gleichzeitig unterscheiden u n d aufeinander angewiesen sind. Das macht diesen Ansatz gemeinsinnig: dieser Text spaltet sein Publikum sehr bewusst nicht in Insider und Outsider, Wissende und Nichtwissende, sondern in eher Aktive und eher Passive, in Mitdenkende und auch Andersdenkende. Bei vielen kulturellen Ereignissen kommt es darauf an, dass sich beides die Waage hält – ohne dabei zu spaltenden Querdenkern zu werden.
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Originelle Ideen passen gut in fast jede Zeit und lassen sich in der Regel gut vermarkten. Es gibt allerdings einen Unterschied, der den Unterschied macht: originelle und wirklich originelle Ideen. Originell ist alles, was jetzt gerade gut passt aber leider nächste Woche schon wieder out sein kann. Wenn sie eine bestimmte klingende Wortmarke transportieren – z. B. KUNST – funktionieren wirklich originelle Ideen exklusiv und steigern manchmal automatisch ihren Wert. Da heute möglichst jede/r originell sein will, haben derartige Ideen einen schweren Stand. Wirklich originell sind in der Regel sehr einfache Ideen, die so gut sind, dass schon allein ihre Zeitlosigkeit überzeugt. Originelle Ideen werden nicht einfach aus dem Nichts geboren, manchmal brauchen sie ein Leben lang, um zur Welt zu kommen.
Gute Ideen sind wie frühreife Nestbeschmutzer; sie sind laut, frech und halten sich an keine Regeln. Sie kümmern sich nicht um die Gegenwart, sondern um die (nicht selten eigene) Zukunft. Ihr Renommée ist schlecht, weil sie elitär wirken; nicht selten dienen sie aber auch der Gemeinschaft und fördern Gemeinsinn. Viele gute Ideen waren am Anfang ungewohnt und wurden erst später wertvoll und anerkannt (z.B. Fahrrad fahren). Im Mittelalter galten gute Ideen häufig als Visionen. Heute schätzt die Mehrheit guten Ideen, sie weiß aber manchmal nicht worin dieses Gut eigentlich für eine Allgemeinheit besteht. Es ist offenbar eine gute Idee, diesen Text zu schreiben, der nicht einfach belehren will, sondern die Vorteile beschreibt, die mit Ideen im Guten und im Bösen verbunden sind.
Ästhetische Ideen sind die bunten Hunde in der Ideenfamilie. Sie spielen mit einer Mischung aus verschiedenen Ideen und produzieren lauter hybride, fremde und vorlaute Dinge, Erfahrungen und Innenwelten. Viele dieser Ideen tun so als ob, funktionieren also so ähnlich wie Hochstapler. Unter bestimmten Umständen werden ästhetische zu originellen Ideen verwandelt und umgekehrt. Ästhetische Ideen neigen zu Übertreibung und Polarisierung. Dann werden sie interessant für Minderheiten. Ästhetisch aufgeladene Ideen können politische Konflikte so geschickt manipulieren, dass wir alle in ein Dilemma geraten. Was tun wir etwa, wenn die Demokratie langsam aber sicher von bestimmten Minderheiten systematisch unterhöhlt wird? Zu einer ästhetischen Idee gehört auch die Fähigkeit, Sachverhalte so zu vereinfachen und auf den Punkt zu bringen, dass durch eine übertriebene Vereinfachung einen komplexer Zusammenhang sichtbarer wird.
Temporale Ideen sind so etwas wie die Topmarken im Ideen-Handel: Ohne die Beobachtung von Zeit, Schnelligkeit, Zeitnot, Timing, Flexibilität und Zukunftsorientierung läuft in heutigen Gesellschaften nichts mehr. Hinterher ist man immer klüger als heute heißt es bekanntlich. Heute muss man ergänzen: …. wenn man dann noch genügend Zeit dazu hat. Der Vorteil von allen temporal orientierten Ideen liegt darin, dass ihre Berücksichtigung uns weiter bildet: Wenn jemand jetzt verstanden hat, dass jede Zukunft eine mögliche und damit eine noch anders mögliche Gegenwart darstellt, kann er freier handeln. Man muß nicht immer sofort reagieren, sondern verschafft sich selbst Spielraum fürs eigene Denken und ein Denken des Eigenen. Man lebt jetzt, nicht später und irgendwann nicht mehr. Doch jede Zeit ist so gut wie die Gegenwart einer nächsten Zukunft , die sie – möglicherweise – hervorbringen kann. Zeit ist nicht Geld, sondern schafft Selbst-Bewußtsein und ein Bewußtein für dringend gebrauchte neue, alternative Ideen.
Michael Kröger
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