See Me – Touch Me
Peter Bogers (NL), Guillaume Bruère (F), Josephine Garbe (D), Benedikt Hipp (D)
26. Februar – 8. April 2022
Josephine Garbe. Fuck Off, 2019, Fotografie (Ausschnitt)
Über Josephine Garbe
In den Videos, Fotos, Skulpturen, Installationen, Performances und Soundarbeiten der Künstlerin Josephine Garbe stehen der Körper, seine Verwandlung sowie zwischenmenschliche Beziehungen im Fokus. Nähe und Distanz werden dabei oftmals als ein pendelnder Prozess zwischen Anziehung und Abstoßung erfahren.
Über Guillaume Bruère
Im Vorfeld der Ausstellung hat Guillaume Bruère an zwei Tagen in der Tageswohnung der Sozialen Dienste Osnabrück mit Wohnungslosen gearbeitet. Aus diesen Begegnungen sind zehn Portraits hervorgegangen, die neben weiteren Werken des Künstlers in der Ausstellung zu sehen sind. Guillaume Bruère möchte mit seiner Arbeit Menschen zu mehr Sichtbarkeit verhelfen, die ansonsten mehr oder weniger unsichtbar am Rande der Gesellschaft leben. „Alle Portraits sind eine Art Huldigung an die Portraitierten. Es geht darum, einen Teil ihrer Persönlichkeit zu erhaschen – wie zarte Schmetterlinge mit einem Netz.“ (Guillaume Bruère)
Wir danken dem Team der Sozialen Dienste SKM gGmbH für die Kooperation.
Ausstellung
Ambivalente psychische wie physische Zustände zwischen Anziehung und Abstoßung, Verführung, Voyeurismus und obsessiver Überwachung, die dem Individuum buchstäblich zu Leibe rücken von Peter Bogers, Josephine Garbe, Benedikt Hipp und anderen.
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Im dritten Jahr der Corona-Pandemie widmet sich der Kunstraum hase29 der Erfahrung von Nähe und Distanz, die zu einer Grundbefindlichkeit der Gesellschaft im Ausnahmezustand geworden ist. Während das Gebot zum Social Distancing oft als problematisch wahrgenommen wird, weil es den Alltag eines jeden Menschen seit Beginn 2020 mehr oder weniger dominiert, soll in dieser Ausstellung das Spannungsfeld von Nähe und Distanz in unterschiedlichen thematischen Zusammenhängen untersucht werden. Inwiefern bestimmen gesellschaftliche Verhaltenskodexe und Normen das Verhältnis von Nähe und Distanz im Alltag? Wo werden Grenzen zum Wohle oder Nachteil des Einzelnen und der Gesellschaft implizit angedeutet oder explizit hergestellt, und wo werden sie offen oder verdeckt übertreten? Die Ausstellung stellt die Werke von 4 Künstlerinnen und Künstlern vor, die sehr unterschiedliche Erfahrungsebenen von Nähe und Distanz auf intensive Weise erfahrbar machen.
Veranstaltung
Künstler:innengespräch mit Josephine Garbe und Guillaume Bruère
In Kooperation mit der VHS Osnabrück
Eintritt: 7,- €/ erm. 5,- € (Mitglieder des Kunstraums hase29 haben freien Eintritt)
Anmeldung: mail@hase29.de
Teilnehmende Künstler*innen
Peter Bogers, Glued Eye, Rauminstallation in der Ausstellung ‘From Seeing To Acting’, Looiersgracht60 Amsterdam Sept/Okt 2021
Peter Bogers (*1965 in Dordrecht, NL; lebt in Amsterdam)
In der raumgreifenden Installation „Glued Eye“ fällt zunächst eine große Projektion von offensichtlich „gefundenem“ Videomaterial von (polizeilichen?) Überwachungen auf. Die Dronen- oder Helikopterkameras verfolgen flüchtende Menschen im Stadtraum.
Peter Bogers, Glued Eye, Rauminstallation in: ‘From Seeing To Acting’, Looiersgracht60 Amsterdam Sept/Okt 2021
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Von der Projektionsfläche aus verläuft ein leuchtender Faden durch den Raum, der in einer Linie die Projektionsfläche (A) mit dem Videoprojektor (B) und einem bewegten Auge auf einem kleinen Bildschirm auf der gegenüberliegenden Wand (C) verbindet. Die leuchtende Linie verknüpft so das „menschliche Auge“ mit dem Flüchtenden. Hierbei wirkt verblüffend, dass der Faden trotz hektischer Bildbewegungen unlösbar mit den Personen verbunden bleibt. Den Zentrierungseffekt erzielt der Künstler durch einen selbstentwickelten Algorithmus, der das Kamerabild auf einen Punkt fixiert und so die Projektion ständig in Bewegung hält. Die verfolgte Person steht so permanent im Fokus der Beobachtungsmaschine, sie „hängt an der Leine“ des bildgebenden Apparats und der „Sehmaschine“, dem menschlichen Auge.
Peter Bogers lenkt mit seiner Rauminstallation „Glued Eye“ (fixiertes Auge) die Aufmerksamkeit auf verschiedene Aspekte des Sehens und seine technischen Mittel. Einerseits erzeugt die Medientechnologie eine aufdringliche Nähe, der sich das beobachtete Objekt nicht entziehen kann. Andererseits bleibt das Auge auf unverrückbare Distanz zum Objekt, dem Fliehenden. Der Künstler thematisiert das Sehen als Imageprocessing, indem das Gesehene den Regeln des Sehenden zu folgen scheint. Ist es das Auge der Betrachter*innen? Oder des Ichs, der Gesellschaft, des Systems?
CV Peter Bogers
Peter Bogers, geboren 1956 in Dordrecht (NL), studierte Bildende Kunst, Schwerpunkt Skulptur, an der renommierten Akademie St. Jost Brede (NL). Er gilt als einer der bekanntesten Medienkünstler der Niederlande. Seine Installationen, Videos und medialen Werke wurden in zahlreichen internationalen Gruppenausstellungen und in Einzelausstellungen u. a. in Amsterdam, Den Haag, Marseille, Osnabrück, Bremen, Stuttgart, Split, Beijing, Tokio und Pittsburgh gezeigt.
Guillaume Bruère (*1976 in Châtellerault / Poitou in Frankreich, lebt in Berlin)
Guillaume Bruère, Ohne Titel / Untitled (Selfportrait – my first white hair), 11.5.2013, 240 x 160 cm
Zeichnung auf Papier
Neben seiner skulpturalen und malerischen Arbeit umfasst das Oeuvre des französischen Künstlers Guillaume Bruère ein sehr umfassendes Konvolut höchst virtuoser Zeichnungen. Ganz gleich ob er sich in die großen Sammlungen internationaler Museen begibt, um dort – ganz in der Tradition der Kopisten – historische Werke nachzuzeichnen, oder ob er lebende Personen portraitiert, sein individueller Stil ist geprägt von einer intensiven Farbgebung und einer vibrierenden Linienführung.
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Mit schneller und zugleich meisterhafter Geste fängt er das Gesehene ein und bannt es auf Papier. Dabei ergänzt er spontan-intuitiv verschiedene Details und kreiert schließlich eine eigene fantasievolle Welt kurioser Wesen zwischen Mensch und Tier oder zwischen Mann und Frau, die teils auch mit mehreren Beinen oder Köpfen ausgestattet sind. Doch worauf lassen sich diese künstlerischen „Mutationen“ zurückführen? Haben sich die Modelle der großformatigen Portraits in der rund einstündigen Sitzung einfach nur bewegt oder offenbaren sich hier vielmehr die vom Zeichner hellseherisch eingefangenen Innenwelten der Portraitierten?
Das Auge ist ein wiederkehrendes Motiv in den Arbeiten von Guillaume Bruère – als eine Art „Tor zur Seele“ ist es ein wichtiger Mittler zwischen dem Künstler und seinem Gegenüber. Gelegentlich spiegelt sich aber auch der gesamte Raum in dem Augapfel wider, so dass die Perspektive der Betrachtenden erweitert und der Blick quasi auf sie selbst zurückgeworfen wird. Wer betrachtet hier eigentlich wen? – Während der Corona-Pandemie waren viele Menschen dazu gezwungen, ihre Begegnungen auf die Kontakte mit Nahestehenden zu beschränken. In dieser Zeit fertigte Bruère an einem einzigen Tag eine Reihe von Portraits seiner eigenen Familie. Obwohl er jedes Gesicht auf einem separaten Papier platziert, markieren der einheitliche Stil mit scharfer Bleistiftkontur und lebendiger Aquarellkolorierung sowie die gemeinsame Rahmung die Portraitierten eindeutig als eine zusammengehörige Gruppe.
Portraitstudien in der Tageswohnung für Wohnungslose
Im Vorfeld der Ausstellung wird der „Extremzeichner“ an zwei Tagen in der Tageswohnung für wohnungslose Menschen der des Sozialen Dienste SKM gGmbH arbeiten.
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Die Portraitzeichnungen werden in der Ausstellung so präsentiert, dass sie für Passanten auch außerhalb der Öffnungszeiten bei Tag und Nacht zu sehen sind. Der Künstler möchte mit seiner Arbeit Menschen zu mehr Sichtbarkeit verhelfen, die ansonsten mehr oder weniger unsichtbar am Rande der Gesellschaft leben. „Alle Portraits sind eine Art Huldigung an die Portraitierten. Es geht darum, einen Teil ihrer Persönlichkeit zu erhaschen – wie zarte Schmetterlinge mit einem Netz.“ (Guillaume Bruère)
Wir danken dem Team der Sozialen Dienste SKM gGmbH und der Redaktion „abseits“. Die Straßenzeitung der Wohnungslosenhilfe berichtet über die Aktion des Künstlers Guillaume Bruère in einer der nächsten Ausgaben.
CV Guillaume Bruère
Guillaume Bruère, geboren 1976 in Châtellerault/Poitou in Frankreich, lebt in Berlin. Er studierte an der École des Beaux-Arts de Nantes und der École européenne supérieure de l’image in Poitiers. Seine Werke waren in zahlreichen nationalen und internationalen Ausstellung zu sehen wie z.B. im Kunsthaus Zürich in der Schweiz, Musée Picasso Paris in Frankreich oder im Marta Herford.
Josephine Garbe (*1991 in Berlin, lebt in Lemgo / Düsseldorf)
Josephine Garbe, Zeig ich, 2017, Video: 33:47 Min.
Josephine Garbe, NOW NOW NOW, 2022, Maße Variabel, 10 bestickte Leinenhandtücher
In den Videos, Fotos, Skulpturen, Installationen, Performances und Soundarbeiten der Künstlerin Josephine Garbe stehen der Körper, seine Verwandlung sowie zwischenmenschliche Beziehungen im Fokus. Nähe und Distanz werden dabei oftmals als ein pendelnder Prozess zwischen Anziehung und Abstoßung erfahren.
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So begegnet den Betrachter*innen des Videos „Zeig ich“ (2017) ein groteskes Gegenüber: Das mit Ton bedeckte Gesicht der Künstlerin wirkt deformiert. Untermalt von seltsam verzweifelten Seufzern ruft diese Begegnung Irritationen hervor: Sollen wir über diese skurrile Maskerade lachen oder löst die Figur vielmehr unser Mitgefühl aus?
Die wiederholte Liebesbekundung in der Soundinstallation „I wonder, wonder don’t you?“ (2020) verkehrt sich ebenfalls unverhofft in ihr Gegenteil. In ihrer enervierenden Eindringlichkeit offenbart sich die Aussage „Ich liebe Dich“ schließlich als leere Floskel. – Mit ihren Stickereien auf Leinenhandtüchern bezieht sich die Künstlerin auf die jahrhundertealte, japanische Tradition des Holzschnitts. Die sogenannten „Ukiyo-e“ (dt. „Bilder der fließenden Welt“), die früher oftmals auch auf Textilien gedruckt wurden, zeigen Szenen des Alltags, darunter auch Liebeszenen. Indem die Künstlerin die Umrisslinien eines historischen Holzschnitts von zwei im Liebesakt vereinten Körpern stark vergrößert auf unterschiedliche Tücher überträgt, zerlegt sie die Szene in verschiedene Fragmente. Erst in der intimen Betrachtung und wenn man das Tuch vorsichtig aufschlägt, eröffnet sich erneut der ursprüngliche, erotische Charakter des Motivs.
CV Josephine Garbe
Josephine Garbe, 1991 geboren in Berlin, lebt und arbeitet in Köln und Lemgo. Sie studierte an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig und an der Kunstakademie Düsseldorf. Aktuell ist sie Preisträgerin des Stipendiums Junge Kunst der Alten Hansestadt Lemgo und der Staff Stiftung in Lemgo. Hier entstand auch ihre Arbeit „NOW NOW NOW“.
Benedikt Hipp (*1977 in München, lebt bei München)
Benedikt Hipp, AEON, 2021, Video loop, 12:42 Min, Videostill, Courtesy: Monitor, Rome, Kadel Willborn, Düsseldorf, Benedikt Hipp
Production : Deutsche Akademie Rom Villa Massimo, Rom IT
Soundcollage mit Ausschnitten aus dem Hörspiel „Hyperbolische Körper“ von Andrea Geißler.
Komposition und Regie Ulrike Haage, Video-Ton-Montage: Sebastian Zwang
Benedikt Hipp, AEON lw5, 2020, Maße: 60 x 22 x 5 cm, Keramik, natürliche Asche auf Flug Glasur, Foto: Max Reitmeier
Courtesy: Monitor, Rome, Kadel Willborn, Düsseldorf, Benedikt Hipp
Ein zu einem Amulett geformter, in ungelenker Bewegung erstarrter, Fuß ist viel zu groß und schwer, um als Halsschmuck magische Kräfte entfalten zu können. Dennoch wecken Benedikt Hipps in offenem Ton-Brand hergestellte, körperhaft anmutende, Keramikplastiken Vorstellungen von Kultobjekten oder Votivgaben, die in spirituellen Zusammenhängen einen Wunsch, eine Bitte oder einen Dank repräsentieren.
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Auf der Suche nach dem Fremden und Unerwarteten räumt Benedikt Hipp in seiner künstlerischen Auseinandersetzung dem ergebnisoffenen Prozess einen großen Raum ein. Die amorphen, aus Tonerde geschaffenen, Formen und Oberflächen lassen das Prozesshafte ihrer Entstehung erkennen und verweisen so auf das Werden und Vergehen des Körperhaften irdischer Existenz.
In seiner hochauflösenden Videoanimation „AEON“ (2021) mutieren die Keramiken zu Planeten, denen die Betrachtenden in einer virtuellen, interplanetaren Raumfahrt auf neue und fremde Weise begegnen. Dabei vollführen sie in der Ausstellung einen Perspektivwechsel, wenn sie sich von der Nahansicht haptischer Keramikoberflächen kommend, vom filmisch virtuos inszenierten Gleitflug in Bann ziehen lassen. Ins Schwerelose des Orbits hineingesogen, wird der Blick vom Singulären und Vertrauten auf das große Unbekannte gelenkt. Dort steht nicht mehr das einzelne Objekt für sich selbst, sondern für ein Ganzes, das in seinen Ausmaßen noch unerschlossen erscheint. Die neue Konstellation der miteinander verwobenen Objekte erzeugt neue Beziehungen und Regeln, die Aufhebung physikalischer Gesetzmäßigkeiten setzt Vorstellungen frei und öffnet den Blick auf faszinierende Freiräume und den eigenen Standort.
CV Benedikt Hipp
Benedikt Hipp geboren 1977 München, lebt und arbeitet im Raum München. Seit 2017 ist er Gastdozent an der Züricher Hochschule der Künste, ZHdK, in der Schweiz. Er hatte 2020/21 ein Stipendium der Villa Massimo, Rome, in Italien, wo Video und Objekte entstanden sind. Seine Werke waren in zahlreichen nationalen und internationalen Ausstellung zu sehen wie z.B. in der Schirn Kunsthalle Frankfurt, dem CAPC Bordeaux oder dem Haus der Kunst München.
„AEON“ meets „Hyperbolische Körper“
Soundcollage mit Ausschnitten aus dem Hörspiel „Hyperbolische Körper“ von Andrea Geißler.
Komposition und Regie Ulrike Haage.
Anlässlich der Ausstellung hat Benedikt Hipp die Hörspielautorin Andrea Geißler eingeladen, Ausschnitte auch ihrem Stück »Hyperbolische Körper« einzubringen. Das Video wird so um eine neue Ebene erweitert und macht die Reise durch den Orbit als Flug durch den gekrümmten, stets wandelbaren Raum vorstellbar. Andrea Geißlers Soundcollage aus Texten und Musik (Komposition Ulrike Haage) ist im Videoraum als eigenständige akustische Einspielungen zu hören. Das Hörspiel ist in der Mediathek des SWR abrufbar.
Für das Hörspiel wurde ein Kovalevskaya-Kreisel in Bewegung konstruiert und in Bewegung gesetzt.
Kreisel und Foto: Philipp Fiedler
Hyperbolische Körper
Die beiden Mathematikerinnen Maryam Mirzakhani und Sofia Kowalewskaja beschäftigten sich mit der Berechnung und Darstellung unregelmäßiger Körper. Bei Sofia Kowalewskaja war es ein Kreisel, dessen Rotation einer Choreographie von regelmäßigen und unregelmäßigen Bewegungen folgt. Der Kreisel hat eine wechselnde Gestalt, je nachdem in welchem Moment der Drehung er sich befindet.
Maryam Mirzakhani fand Wege, hyperbolische Körper zu berechnen, unregelmäßige Körper, die Löcher haben können und im hyperbolischen Raum verortet sind, einem Raum mit konstanter negativer Krümmung.
In einer mathematischen Utopie versuchen die beiden Mathematikerinnen einen Weg zu finden, die Gestalt unserer menschlichen Körper zu verändern: Was wäre, wenn wir hyperbolische Körper werden könnten? (Andrea Geißler)
CV Andrea Geißler
Andrea Geißler, geboren 1986, ist Autorin und Radio-Redakteurin beim Hessischen Rundfunk. Sie schreibt Prosa, Lyrik und Hörspiele. 2010 war sie Preisträgerin beim Literaturpreis Nord-Ost. Ihr Hörspiel-Debüt »Hyperbolische Körper« wurde mit dem Publikumspreis der ARD Hörspieltage 2020 ausgezeichnet.
Sponsoren
Teilnehmender Künstler
Peter Bogers (NL), Guillaume Bruère (F), Benedikt Hipp (D), Josephine Garbe (D)
Kurator*innen
Friederike Fast, Elisabeth Lumme, Hermann Nöring