asap. we must hurry to slow down

28.8. – 31.10.2021

kuratiert von Ann-Katrin Günzel

Mit Douglas Coupland, Oliver Gather, Mischa Kuball, Dan Perjovschi, Warren Neidich, Stefan Rohrer, Sebastian Schmieg, Matthias Surges, Su Yu Hsin, Johanna Terhechte, Stefanie Zoche

 

Die Ausstellung

Wir erklären,
dass die Welt sich um eine neue Schönheit bereichert hat:
um die Schönheit der Geschwindigkeit. […]
ein aufheulendes Auto, das auf Kartätschen zu laufen scheint,
 ist schöner als die Nike von Samothrake.
 (F. T. Marinetti, Gründungsmanifest des Futurismus 1909)

Diese Worte aus dem Gründungsmanifest des italienischen Futurismus, veröffentlicht am 20.2.1909 auf der Titelseite des Pariser „Le Figaro“, betonen unmissverständlich die Absichten Marinettis und seiner Mitstreiter, die Welt mit hoher Geschwindigkeit zu erobern und vollkommen neu zu gestalten: Schnelle Fortbewegung, Simultaneität der Geschehnisse, Dynamik der Kommunikation sowie jede Entwicklung von Technologie waren die Mittel dafür. Die in der Ausstellung gezeigten Fotografien der Futuristen (Leihgaben der Galerie Priska Pasquer, Köln) kennzeichnen sowohl mit dem Manifest „Le Futurisme Mondial“ (11.1.1924) als auch mit der Selbstdarstellung der Futuristen in Flugzeugen beispielhaft diesen globalen Eroberungs-Anspruch.

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Die erbarmungslose Ausbeutung der Natur war dabei einkalkuliert, unverblümt heißt es im Manifest des Malers Umberto Boccioni: „Wir können nicht ohne Abscheu und Bedauern daran denken, dass Vereine zur Erhaltung der Landschaft existieren. […] Ist diese Verwüstung, die der Mensch unter dem Antrieb der Forschung und des Schaffens verursacht, indem er Straßen baut, Seen zuschüttet, Inseln überflutet, Dämme errichtet, einebnet, spaltet, aushöhlt, durchstößt und aufrichtet im Namen dieser göttlichen Unruhe, die uns in die Zukunft befördert, nicht unendlich erhaben?“ (U. Boccioni, Futurist. Malerei und Plastik, 1910)

Damals stellten die futuristischen Zielsetzungen die das All umspannende Utopie einer nicht selten mit Heiterkeit und Klamauk begrüßten künstlerischen Avantgarde-Bewegung dar, heute, nachdem gut 100 Jahre später alles erfüllt, eingelöst und übertroffen wurde, was Marinetti sich damals wünschte, läßt uns deren Gehalt erschüttert verstummen. Denn während die italienischen Futuristen Anfang des 20. Jahrhunderts noch die „Schönheit der Geschwindigkeit“ besungen haben, den Fortschritt bejubelt und Dynamik in allen Lebensbereichen gefordert haben, sind wir inzwischen am Ziel der futuristischen Wünsche und Weltvorstellungen und mitten in einem post-futuristischen Zeitalter angekommen, in dem die Raserei in kilometerlangen Staus und verstopften Innenstädten zum Erliegen gekommen ist und einer „Müdigkeitsgesellschaft“[1] Platz gemacht hat, die sich zwar nach wie vor dem Zwang eines allgemeinen Leistungsimperativs unterwirft, dabei aber längst spürbar von Burnout und Depressionen gezeichnet ist.

Wachstumseuphorie und Fortschrittsglauben haben sich in den westlichen Industrienationen das ganze letzte Jahrhundert über und bis zum heutigen Tag mit einer Vehemenz verbreitet, die selbst den Warnungen einer Coronapandemie trotzt. Und das, obwohl längst vorher schon überdeutlich geworden ist, dass wir hochgradig über die Weltverhältnisse leben. Die anfangs als Neuorientierung erhoffte Zwangspause, die durch das Auftreten des Covid_19 Virus im März 2020 mit zahlreichen Lockdowns und harten Einschnitten in unser Leben getreten ist, hat, wie sich inzwischen herausgestellt hat, weder unsere Ruhelosigkeit oder unseren Drang nach Effizienz noch daraus resultierend den Klimawandel anhalten können.

Die Ausstellung „asap. We must hurry to slow down…“, die auf Einladung des Kunstraum hase29 in Osnabrück aus dem von Ann-Katrin Günzel im April 2020 herausgegebenen Band „post-futuristisch“ (Kunstforum international Band. 267) hervorgegangen ist, widmet sich der künstlerischen Reflexion von Erschöpfung als Folge unserer beschleunigten Lebensrealität. Die post-futuristisch teilnehmenden Künstler*innen Douglas Coupland, Oliver Gather, Mischa Kuball, Warren Neidich, Dan Perjovschi, Stefan Rohrer, Sebastian Schmieg, Matthias Surges, Johanna Terhechte, Su Yu Hsin und Stefanie Zoche formulieren dabei in ganz unterschiedlichen Ansätzen Bilder und Methoden, die auf unsere schnelllebige Gesellschaft und deren Rastlosigkeit sowie auf das Effizienzstreben unseres Alltags Bezug nehmen und die Erschöpfung unserer physischen, psychischen und natürlichen Ressourcen thematisieren.

Als Momentaufnahmen, aber auch als neue Bilder und Möglichkeiten gelangen in der Ausstellung „asap. We must hurry to slow down!“ die unterschiedlichen Momente des Stillstands und die Aufforderungen zum Innehalten damit in unser Blickfeld und vielleicht ja auch in unseren Erfahrungshorizont.

(Dr. Ann-Katrin Günzel)

[1] Vgl. Byung-Chul Han: Müdigkeitsgesellschaft, Bielefeld 2010.

alles easy

Abbildung: Dan Perjovschi, slow down, 2021

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